"How-to" Rocking Houston

Notizen eines USA-Novizen
So, 20.10.2002

 

 


Die Currywurst fehlt mir leider...

 

 


Mit der Rikscha in die Vorlesung

Halbzeit in Amerika! Oder auch Bergfest, wie man sagen könnte. So schnell kann es gehen. So ein wenig ist doch das Gefühl da, als wäre ich gerade erst hier angekommen, da ist auch schon die Hälfte meines Aufenthaltes auf amerikanischem Boden vorbei. Darauf wird erst einmal das lange gehütete und bestgesichertste Bierdöschen zur Feier des Tages aufgemacht. Die 0-Fünfer Astra.

Eildieweil ist heute wieder nicht viel passiert. Gestern hatte ich die Gelegenheit mal mit ins Kino zu fahren. "My big fat greek wedding" war angesagt. Mit kleinem Budget abgedreht, aber hierzulande ungemein erfolgreich. Und das wohl zurecht. Nicht besonders hochtrabend, aber sehr amüsant. Eine runde Sache, die ich also auch deutschen Kinobesuchern empfehlen kann (hab mal nachgeschaut, in der Heimat soll er wohl Januar nächsten Jahres anlaufen). Reinschauen!

Nun zu einem... soll ich sagen...Leserbrief? Es soll ja so, ein zwei Leute geben, die hier ab und an mal auf die Seite klicken. Ich nehme natürlich jedes Lob gerne entgegen, bin aber freilich auch für Kritik offen. Ein Herr Timo Baden (Name von der Redaktion geändert), zur Zeit wohnhaft in Shanghai verteilte kürzlich einen Rüffel für meine Darstellung von chinesischen Mitbürgern. Er muss es natürlich wissen, schliesslich laufen um ihn herum noch mehr Chinesen längs (schwer vorstellbar für mich). Deswegen will ich darauf gerne eingehen, ehe hier ein falscher Eindruck entsteht.

So schrieb ich am 27.9.: "Auch wenn Chinesen gemeinhin als ruhige und höfliche Menschen bekannt sind, [...]". Lieber Timo, natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. Wenn also während der Vorlesung absolute Stille herrscht, heisst das noch nicht, dass es DAVOR und DANACH auch so ist. Dann geht es richtig rund. Um nicht zu sagen, dass ich vermutlich zurück in Deutschland erst einmal mein Trommelfell untersuchen lassen kann. Und wofür? Ich versteh es ja nicht mal...

Rücksicht scheint ein Wort zu sein, dass nur bedingt im chinesischen Sprachschatz vorhanden zu sein scheint. Beispiele? Klar, sollt ihr haben! Das fängt in dem Raum an, wo der Drucker steht. Man will gerade noch mal die Folien der nächsten Vorlesung auszudrucken, um entsprechend vorbereitet zu sein. Ein Blick auf unseren kleinen Ozonfreund von HP: Hunderte Seiten mit fremden Schriftzeichen quellen heraus. Die Bibel auf chinesisch? Eine Ende absehbar? Nein! Nach der Vorlesung lief der Kram immer noch durch und man hätte sich wundern können, dass das Gerät vor lauter Überhitzung nicht längst selbst dieses Drama beendet hat.

Szenenwechsel. Damals in der Testing Vorlesung. Zunächst sei erwähnt, dass es in diesem Kurs eine Anwesenheitsliste gibt, die zu Beginn durch den Raum rotiert. In diesem Kurs, mal wieder überwiegend durch Chinesen besucht, läuft es nun so, dass ich - obwohl ich mitten drin sitze - in schöner Regelmässigkeit die Liste NICHT erhalte, um meinen Karl-Eduard darauf zu hinterlassen. Sicher keine böse Absicht, aber Chinesen geben halt diese Liste lieber untereinander weiter, als einfach die Reihenfolge der Sitzreihen einzuhalten.

So dann also auch ein typischer Montag in der letzten Woche. Ich weiss seinen Namen nicht. Nennen wir ihn einfach mal den Rudeldümmsten, unabhängig davon, ob er es nun wirklich ist oder nicht. Wie durch ein Wunder erreichte mich nun also doch noch die beliebte Anwesenheitsliste. Ostern und ein 4:1-Sieg von 96 gegen die Bayern an einem Tag. Ich gebe sie an besagten Rudeldümmsten vor mir weiter. Dieser sichtet erstmal gemächlich die Lage. "Huch! Liste! Die hat ich doch schon mal. Was mach ich jetzt damit?"

Die offensichtliche Überforderung weckt mein Interesse. Da der Dozent sowieso gerade noch verzweifelt versucht, den Unterricht in Gang zu bekommen, aber offensichtlich kein Startkabel dabei hat, verfolge ich das Geschehen. Der Rudeldümmste überprüft nun offenbar anhand der Liste, ob alle seine kleinen Chinamänner und -frauen ordnungsgemäss ihren Schriftzug auf dieselbe gesetzt haben (erkennbar an dem unruhigen Umherblicken durch den Klassensaal).

Dann händigt er die Liste an den Dozenten aus. So weit, so gut. Nun muss man wissen, dass sich erst wenige Augenblicke zuvor - weil etwas zu spät zum Unterricht erschienen - eine Kommilitonin, den Platz schräg vor erwähntem Rudeldümmsten eingenommen hatte. Bei allen Scheuklappen, das muss auch unser Freund bemerkt haben. Und natürlich war es bis dahin unmöglich, dass die Liste jemals die Kommilitonin - übrigens definitiv nicht chinesischer Abstammung, aber das versteht sich von selbst - erreicht haben könnte. Ohne Worte!

Wie immer, möchte ich natürlich darauf hinweisen, dass alle Äusserungen nicht als pauschal zu verstehen sind. Aber die beschriebenen Verhaltensmuster sind hier leider an der Tagesordnung. Dankbar nehme ich jeden Lichtblick auf, dass es auch Hoffnung gibt. Eine so rühmliche Ausnahme scheint der Notebook-Chinese zu sein. Selber Ort, andere Zeit. Der Dozent hat gerade die Hausarbeiten ausgeteilt und erläutert die Aufgabe. Meldet sich der Notebook-Chinese und fragt staubtrocken: "Has it anything to do with what we have learned so far?". Der Notebook-Chinese! Beinhart. Aber gut.

Auf dass die zweite Hälfte meines Daseins in Amerika noch mehr dieser kleinen Alltagssituationen für mich bereit hält. Ich freu mich drauf.

Monte Miersch

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